Adenauers Watergate by Klaus-Dietmar Henke

Adenauers Watergate by Klaus-Dietmar Henke

Autor:Klaus-Dietmar Henke [Henke, Klaus-Dietmar]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Aufbau Digital
veröffentlicht: 2023-07-20T10:29:02.040000+00:00


IV

Watergate in Bonn: Sozialdemokratie im Wandel 1958/59

Geheime Kanzler-Orientierungen: Vor der Palastrevolution in der SPD

Die Parteimodernisierung nimmt Fahrt auf

Die wichtigste Wegmarke im Modernisierungsprozess der SPD war zunächst die Wahl der Stellvertreter für den Partei- und Fraktionsvorsitzenden Erich Ollenhauer in der neu zusammengetretenen Bundestagsfraktion 1957. Hier setzte sich mit Fritz Erler, Carlo Schmid und Herbert Wehner (er hatte das beste SPD-Wahlkreisergebnis überhaupt geholt1) die schon seit längerem tonangebende »informelle Elite«2 durch. Wilhelm Mellies verlor, wie erwähnt, sein Amt. Im Fraktionsvorstand saßen nun auch der zur Sozialdemokratie gewechselte frühere Bundesinnenminister Gustav Heinemann, Heinz Kühn und Helmut Schmidt. Gemeinsam mit den profilierten Reformern Waldemar von Knoeringen und Georg August Zinn aus den Ländern sowie den Senatspräsidenten bzw. Bürgermeistern Willy Brandt (Berlin), Max Brauer (Hamburg) und Wilhelm Kaisen (Bremen) drängten sie schon seit Jahren auf eine Mobilisierung der erstarrten Funktionärspartei.

Zur Palastrevolution geriet dann der vorgezogene Bundesparteitag in Stuttgart im Frühjahr 1958. Die Delegierten beließen ihren redlichen, aber blassen Ollenhauer, der sich partout »nicht als die bessere Alternative zu Adenauer hatte verkaufen lassen«,3 zwar im Amt, gaben ihm aber den Geistesaristokraten Waldemar von Knoeringen und Herbert Wehner als Stellvertreter bei. Vor allem aber beraubten sie den Parteivorsitzenden seines eigentlichen Machtinstruments: den vom bisherigen Organisationsstatut faktisch unkündbar gestellten und dem Delegiertenvotum entzogenen fünfköpfigen Geschäftsführenden Parteivorstand, eine Art Partei-Generalstab. Er sicherte traditionell den Primat der Parteiorganisation gegenüber den sozialdemokratischen Parlamentariern und Länderregierungen. Prominentestes Opfer bei der Abschaffung der »Festbesoldeten« wurde der seit längerem in der Kritik stehende Propaganda- und Pressechef Fritz Heine, Ollenhauers Intimus.

In dem neu gewählten dreißigköpfigen SPD-Vorstand zeigte sich unter anderem mit Arndt, Brandt, Brauer, Deist, Erler, Schmidt oder Zinn der »Vormarsch der Reformergruppe«. Die Tagesgeschäfte führte hinfort das neu eingerichtete Präsidium aus neun Vorstandsmitgliedern, dem nicht weniger als sieben Bundestagsabgeordnete angehörten. Nicht mehr der oligarchisch verknöcherte Funktionärsapparat, sondern die Fraktion und die Praktiker, die das Ohr näher am Volk hatten, bestimmten jetzt endgültig die politische Linie der Sozialdemokratie.

Nicht weniger bedeutsam als die organisatorische Reformierung war die politisch-programmatische Modernisierung der SPD, deren Parteiprogramm aus dem Jahr 1925 stammte. Diskussionen über ein zeitgemäßeres Leitbild gehörten zum Parteialltag, doch erst nach dem Fiasko von 1957 setzte der Vorstand unter Willi Eichler eine Kommission ein, die das zwei Jahre später beschlossene Godesberger Programm ausarbeitete. Es enthielt die Absage an weltanschauliche Dogmen, auch marxistische, verwarf angesichts des gesellschaftlichen Wandels endgültig das arbeiterparteiliche Selbstverständnis zugunsten eines volksparteilichen, betonte die Entschlossenheit zu einer sozialen und normativen Öffnung sowie das Ziel, die Bevölkerungsmehrheit für einen ethisch fundierten demokratischen Sozialismus zu gewinnen. In der Definition Herbert Wehners war diese Art Sozialismus die »für alle verwirklichte Demokratie«.4

Die politischen Gegner im bürgerlich-konservativen Lager erkannten, dass die SPD mit dem Sieg der Reformer und ihrem neuen Grundsatzprogramm erheblichen politischen Spielraum gewann, da diese Wandlung auch eine Öffnung zum Bürgertum hin bedeutete. Weil damit das Gespenst sozialdemokratischer Koalitions- und Regierungsfähigkeit im Bund den politischen Raum betrat, war der Bundeskanzler und CDU-Chef Konrad Adenauer alarmiert.

Noch wichtiger als die Veränderung des programmatischen Rahmens war allerdings der Kurswechsel in der praktischen Politik. Der SPD hing auf Bundesebene seit 1949 das Image



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